Restaurierung 2001…2006
Hesse-Orgel
Disposition:
Hauptwerk, C – f“‘ | ||
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Principal | 8′ | rekonstruiert,Originalpfeifen im I. Weltkrieg abgegeben |
Quintatöne | 16′ | |
Hohlflöte | 8′ | |
Violadigamba | 8′ | |
Grobgedackt | 8′ | |
Hohlflöte | 4′ | |
Octave | 4′ | |
Octave | 2′ | |
Mixtur 4 f. | 2′ | |
Cymbel 3f. | 1/2′ |
Oberwerk, C – f“‘ | ||
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Principal | 4′ | rekonstruiert, Originalpfeifen im I. Weltkrieg abgegeben |
Flaute trav. | 8′ | |
Kleingedackt | 8′ | |
Spitzflöte | 4′ | |
Nachthorn | 4′ | |
Octave | 2′ | |
Salicional | 8′ | später von Knauf ergänzt |
Pedal, C – d‘ | |
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Posaunenbaß | 16′ |
Octavenbaß | 8′ |
Violon | 16′ |
Subbaß | 16′ |
Manualkoppel
Pedalkoppel
Englische Schwebung (Tremulant)
2 Glockenaccorde (Cymbelsterne ohne Stern)
Zur Restaurierung der Hesse-Orgel
Es ist ganz erstaunlich, in einer so kleinen Kirche ein derart großes Instrument anzutreffen. In anderen Regionen Deutschlands hätte sich ein Dorf von der Größe Wahlwinkels kaum mehr als ein einmanualiges Instrument mit 10 bis 12 Registern geleistet! Man kann heute nur noch erahnen, welch hohen Stellenwert die Kirchenmusik damals im Gothaischen Lande hatte, immerhin gehörte dieser Landstrich nicht unbedingt zu den reichsten Gegenden. Natürlich war eine große und schöne Orgel auch ein Prestigeobjekt gegenüber den Nachbardörfern, doch ohne eine entsprechende Wertschätzung der Instrumente hätten man sich zum Repräsentieren gewiss etwas anderes ausgesucht, als gerade die Orgel.
Das Besondere an dem Instrument ist aber nicht nur die ungewöhnlich hohe Zahl der Register. Es wurde von der in jener Zeit besten Werkstatt unserer Region gefertigt. Der gute Ruf der Hesses aus Dachwig reichte weit über Thüringen hinaus, die Qualität der Instrumente wurde in mehreren zeitgenössischen Veröffentlichungen hoch gerühmt. In vier Generationen war diese Familie von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 19. Jhd. tätig. Während der Stammvater Johann Michael Hesse (1734 – 1810) wohl noch ausschließlich regional tätig war und maximal Orgeln mittlerer Größe fertigte, lieferte sein Enkel Ernst Siegfried u.a. auch eine Orgel mit 57 Registern für den Erfurter Dom und eine nur wenig kleinere nach Riga. Ein weiteres größeres Werk ging nach Korbach in Hessen. Zunächst übernahm aber sein Sohn Ernst Ludwig (geb. 1768) und nach dessen Tod im Jahre 1823 dessen 16 Jahre jüngerer Bruder Georg Andreas (geb.1784) die Firma. Ernst Siegfried war der nur 5 Jahre jüngere Neffe von Georg Andreas, der nur wenig später selbst geschäftlich tätig wurde. Zu Bedeutung gelangte auch noch der erst 1806 geborene jüngere Bruder von Ernst Siegfried, der wie der Stammvater Johann Michael hieß. Letzter Orgelbauer der Familie war der 1830 geborene Julius Hesse, Sohn von E. Siegfried. Er hatte wohl nicht das richtige Geschick zu diesem Beruf , nachdem er sich mit dem Umbau der Wender – Orgel der Bachkirche Arnstadt übernommen hatte, heißt es, wäre er 1865 nach Rußland geflüchtet. Leider ist diese Orgelbauerfamilie bislang weder in der Öffentlichkeit, noch in der heutigen Fachliteratur gewürdigt worden. Dazu trug sicher bei, daß die meisten Werke, die mittlerweile 150-200 Jahre zuverlässig ihren Dienst taten, in einem bedauerlichen Zustand und kaum oder gar nicht mehr spielbar sind. Ein erster Lichtblick sind somit die Restaurierungen in Seebergen und Wahlwinkel, die diese hervorragenden Werke wieder hörbar machen.
Auch die Orgel in Wahlwinkel war vor Beginn der Arbeiten nicht mehr spielbar. Immerhin hatte sie seit 1829 ihren Dienst getan. Während die meisten anderen Instrumente nach spätestens hundert Jahren grundlegend überholt werden mußten, war diese Orgel bis zu Anfang der 90er Jahre noch spielbar, wenn auch zuletzt mit starken Einschränkungen. Diese extreme Langlebigkeit der Hesse – Orgeln ist meist nicht beachtet worden, der zuletzt schlechte Zustand hat eher dazu geführt, daß der Name der Erbauer heute fast in Vergessenheit geraten war.
Der gediegene Prospekt mit seinen 16 Feldern wirkt in der kleinen Kirche geradezu beherrschend und weist die typischen Merkmale vieler Hesse- Orgeln jener Zeit auf: das Simswerk hat noch barocke Dimensionen, dafür wurde auf Schleier völlig verzichtet.
Charakteristisch sind auch die geschwungenen Simse. Das Gehäuse ist, wie ursprünglich bei vielen Orgeln dieses Typs, naturbelassen und nur mit einem Firnis versiegelt.
Eigentlich müßte das Gehäuse zu dieser Zeit klassizistische Züge tragen. In der Tat gibt es auch solche Gehäuse aus der dachwiger Werkstatt. Vielfach scheint aber doch der Wunsch nach einer traditionellen Bauweise bestanden zu haben.
Es kann als ein besonderer Glücksumstand gelten, daß dieses Instrument in seiner Substanz nie verändert wurde. Wie bei fast allen Orgeln fielen jedoch die großen Prospektpfeifen dem ersten Weltkrieg zum Opfer und wurden nach 1917 durch Zinkpfeifen ersetzt. Geändert wurde auch die Stimmtonhöhe der Orgel durch seitliche Verschiebung der Klaviaturen und entsprechendes Umhängen der Traktur. Zu Beginn des 19. Jhd. lag nämlich der Stimmton ca. einen ganzen Ton höher, als bei der heute festgelegten Tonhöhe von 440 Hz für den Ton a‘. Diese Verschiebung stellte einen relativ kleinen Eingriff dar, schwerer wog das zusätzliche Abschneiden der Pfeifen um einen weiteren halben Ton. Um die originalen Verhältnisse wieder herzustellen mußten somit alle Pfeifen durch Anlöten entsprechend verlängert werden.
Ursprünglich dienten zwei große Spanbälge auf dem Kirchenboden zur Windversorgung. Der Calcant (Bälgetreter) hatte zwei Steigbügeltritte hinter der Orgel zu bedienen. Diese Anlage ist auch noch vorhanden (zumindest die Einzelteile), jedoch außer Betrieb. Später, möglicherweise in Zusammenhang mit der Veränderung der Tonhöhe der Orgel, stellte man einen kleinen Doppelfaltenmagazinbalg mit Schöpfer auf die zweite Empore in einen Verschlag neben die Orgel. Die Bälge auf dem Dachboden liegen äußerst beengt und bringen durch das Ansaugen der Außenluft klimatische Problem mit sich. Deshalb wurde von uns diese Anlage nicht wieder in Betrieb genommen, sie sollte jedoch auch weiterhin als Denkmal erhalten bleiben. Der historisch nicht so bedeutsame Magazinbalg wurde von uns völlig neu beledert und im Interesse der besseren Zugänglichkeit und Funktion etwas verändert angeordnet. Ein neues, geräuscharmes Elektrogebläse wurde in der Nähe des Balges in einen schalldämmenden Schutzkasten eingebaut.Nach dem letzten Eingriff, bei dem die Tonhöhe geändert wurde, waren keine grundlegenden Instand- haltungsmaßnahmen mehr erfolgten. Zwischenzeitlich sind Leder gealtert, Drähte oxydiert und eine beträchtliche Zahl Pfeifen aus der Orgel geraubt oder verdorben worden Immerhin sind dem Instrument dadurch auch Umdisponierungen und der Einbau artfremder Materialien erspart geblieben, was in zahllosen anderen Orgeln zu erheblichen Verlusten an historischer Substanz geführt hat.
Die Klaviaturen wurden im Zuge der Herstellung der originalen Tonhöhe jetzt wieder zurückgesetzt. Stark ausgespielte Tastenbeläge haben wir ausgewechselt, Führungen nachgearbeitet, korrodierte Metallteile gewechselt und die Oberflächenversiegelung des Holzes aufgefrischt.Die Windladen, auf denen die Pfeifen stehen, sind quasi das Herzstück einer jeden Orgel. Deren Bauweise stellt eine technische Besonderheit dar. Die hier verwendete aufwendige Bauform mit abgewinkelten Kanzellen wurde nur bei ganz wenigen Instrumenten erprobt. Die Tonventile sind nicht wie üblich unter den Kanzellen angeordnet, sondern letztere sind nach unten abgewinkelt und die Ventile hängend befestigt. Geöffnet werden sie durch Stecher, die ohne besondere Pulpeten durch die Kanzelle führen.
Sinn dieser Einrichtung ist neben einer guten Zugänglichkeit zu den Ventilen die Verhinderung des Ansammeln von Dreck und dadurch bedingter Heuler. Als zu aufwendig wurde diese Bauform jedoch nicht lange gepflegt.
Die Restaurierung der Windladen war ein ganz wesentlicher Teil unserer Arbeit. Der Korpus besteht aus Eichenholz, welches konstruktionsbedingt bei alten Laden fast immer reißt und damit zu Windverlust führt. Nach dem Ausspänen der Risse mußten alle Belederungen und die Drahtteile erneuert werden.
Großen Aufwand erforderte auch das Pfeifenwerk. Wie schon erwähnt, mußten alle Pfeifen angelängt werden, weiterhin waren zahlreiche Einzelpfeifen zu ergänzen, die zum Teil entwendet oder aber so verdorben waren, daß sie sich nicht wieder herstellen ließen.
Der letzt Arbeitsabschnitt ist die Stimmung und Intonation der Orgel, wobei die Tonhöhe und der Klang jeder einzelnen Pfeife genau eingerichtet werden muß.
Die Orgel der Kirche zu Wahlwinkel zählt durchaus zu den bedeutenden Orgeln des Thüringer Raumes, was nach der Restaurierung nun erst wieder nachvollziehbar wird. Möge sie durch eine gute Pflege und regelmäßigen Gebrauch auch weiterhin für lange Zeit dem Lobe Gottes dienen und von den großen handwerklichen und musikalischen Traditionen unseres Landes zeugen!
Joachim Stade
Zur Geschichte der Orgel:
Die Kirche von Wahlwinkel erhielt erst relativ spät eine Orgel. Am 15. Jan. 1699 wurde ein Contrakt geschlossen „…mit Christian Rothen…, so zu Friedrichroda wohnhafft, daß er für 120 thlr….ein OrgelWerck verfertigen solle…“ mit 8 Registern, Tremulant und Cymbelstern.
Am 27. Juli 1700 ergeht eine Mahnung, daß er das Werk unverzüglich fertigstellen soll. Roth wird als kränklicher Mann beschrieben, der keine Bürgschaft geben könne. Er soll bereits 74 Taler erhalten haben.
[Thür. Staatsarchiv Gotha, Oberkonsistorium Amt Tenneberg Nr. 324]
Im Jahre 1781 ist die Orgel dann für 16 Taler vom Hoforgelmacher Langenhan repariert worden, hierfür erhielt die Gemeinde einen Zuschuß von 6 Talern.
[Thür. Staatsarchiv Gotha, Oberkonsistorium Amt Tenneberg Nr. 328]
In einem Schreiben vom 4.März 1828 ersucht die Gemeinde Wahlwinkel beim Oberkonsistorium um die Erlaubnis eine neue Orgel bauen zu dürfen. Es ist von einer Erweiterung der Kirche die Rede, so daß die alte Orgel nicht mehr ausreichend sei.
Den Auftrag erhielten die Gebrüder Hesse aus Dachwig, damals wohl die bedeutendste Firma unserer Region. Die Orgel kostet 800 Taler, abzüglich 20 Taler für die Überlassung des alten Werkes. Außerdem übernahm die Gemeinde die Beköstigung der beiden Orgelmacher und ihrer Gesellen für ca. 4-5 Monate. Es ist eine beachtenswerte Leistung, daß die kleine Gemeinde die ganze Summe für diese relativ große Orgel selbst aufbrachte und keinerlei Zuschuß erhielt!
Am 22.Juni 1829 erfolgt die Meldung, daß die Orgel von Musikdirektor Müller und dem Organisten des Erfurter Domes, Herrn Gleiz abgenommen wurde.
[Thür. Staatsarchiv Gotha, Oberkonsistorium Amt Tenneberg Nr. 332]
In den Akten fand sich zwar bislang weder der ursprüngliche Vertrag, noch das Kostenangebot, jedoch eine Begutachtung des letzteren von Joh. August Walther aus Gotha.
Aus dieser läßt sich entnehmen, daß im Hauptwerk statt der Hohlflöte 4′ eine Quinte 3′ geplant war [„…ganz unnütze und schädliche Stimme..“]. Außerdem wünscht sich Walther, daß drei Sperrventile angefertigt werden und in jedem Manualwerk eine Schleife mehr gebaut wird, um später noch Register ergänzen zu können. Dies alles wird von Hesse zugesagt.
Die Sperrventile sind nicht zur Ausführung gekommen, jedoch wurde offensichtlich im Oberwerk eine Registerschleife zusätzlich gebaut. Nur so ist zu erklären, daß das Salicional 8′ ganz hinten steht. Der Registerzug wurde irreführender Weise mit „M – Gemshorn 8′ “ bezeichnet.
Das Salicional wurde vermutlich relativ bald ergänzt, zumindest noch im 19. Jahrhundert. Es ist somit als integrierter Bestandteil der Originalsubstanz zu betrachten.
Ende des vorigen oder zu Beginn dieses Jahrhunderts muß eine umfassende Überholung der Orgel stattgefunden haben. Bei dieser Gelegenheit wurde statt der zwei Spanbälge ein Magazinbalg eingebaut.
Außerdem änderte man die Tonhöhe der Orgel durch Verschiebung der Klaviaturen im Spielschrank auf den heutigen Kammerton.